19.09.2024
Ende der Informationskampagne - Finanzielle Notlage der GKV
In den vergangenen acht Wochen haben wir Sie umfassend über die Kampagne des BKK Dachverbands „Finanznot in der GKV“ informiert. Dabei wurde aufgezeigt, dass Sie die von der Politik beschlossenen Kostensteigerungen und zusätzlichen Ausgaben zusammen mit den Arbeitgebern weitgehend selbst tragen müssen. Um der Kampagne einen abschließenden Rahmen zu verleihen, wurde dazu ein ausführlicher Überblicksartikel mit dem Titel „Was fehlt, zahlst du!“ veröffentlicht.
Was fehlt, zahlst Du!
Der Staat lässt sich seine Aufgaben immer mehr von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung finanzieren. Und die Krankenkassenbeiträge steigen und steigen.
Im deutschen Gesundheitswesen, da sind sich alle Beteiligten einig, soll es möglichst gerecht zugehen. Alle sollen im Krankheitsfall die bestmögliche Behandlung erhalten – ärmere Menschen ebenso wie Reiche und die Landbevölkerung ebenso wie Städter. Die Institution der Gesetzlichen Krankenversicherung verfügt für die medizinische Behandlung der Versicherten über einen großen Jahresetat von mehr als 300 Milliarden Euro. Wie dieses Geld jedes Jahr zusammenkommt und wie es möglichst gerecht ausgegeben werden kann, ist in 320 Paragrafen des Fünften Sozialgesetzbuches auf mehr als 700 Seiten geregelt. Alles in diesem Gesetzeswerk ist auf demokratischem Wege zustande gekommen. Und alles wird immer wieder von Gerichten überprüft. Aber der normale Versicherte kann mit Begriffen wie „Landesbasisfallwert“, „morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich“ oder „AMNOG-Verfahren“ natürlich nichts anfangen. Obwohl es dabei immer um Milliardenbeträge und die Gesundheit jedes Einzelnen geht.
Weil außerhalb von Expertenzirkeln kaum noch jemand wirklich versteht, was im Gesundheitswesen vor sich geht, haben sich im Laufe der Jahre Missstände bei der Finanzierung eingeschlichen, die eindeutig gegen die Interessen der Beitragszahler verstoßen, aber dennoch in der öffentlichen Diskussion keine nennenswerte Rolle spielen. Mehr noch: Bund und Länder greifen den Beitragszahlern immer tiefer in die Tasche und ziehen sie zur Finanzierung von Aufgaben heran, die eigentlich Sache der öffentlichen Haushalte – und nicht der Krankenkassen und ihrer Mitglieder – sind.
Der Trick mit dem Berechnungsfaktor
Ein Beispiel für einen Griff in die Tasche der Beitragszahler, den kaum jemand bemerkt, ist der Krankenkassenbeitrag für Bürgergeldbeziehende. Er kann nicht wie bei normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berechnet werden. Deshalb legte der Bund ihn per Gesetz fest. Aber er schrieb nicht den Zahlbetrag ins Gesetz, sondern einen Berechnungsfaktor der aktuell 0,2155 beträgt. Mit ihm wird die „Soziale Bezugsgröße“, eine Art Durchschnittseinkommen der GKV-Versicherten, multipliziert – heraus kommt der Krankenkassenbeitrag. Aber der willkürlich gewählte Berechnungsfaktor wurde immer wieder nach Belieben geändert. Im Jahr 2016 wurde er beispielsweise um sage und schreibe 40,3 Prozent abgesenkt. Und mit ihm natürlich auch der Krankenkassenbeitrag für Bürgergeldempfänger.
Aktueller Stand ist: Während für Vollzeitbeschäftigte in untersten Lohngruppen derzeit ein GKV-Beitrag von etwa 350 Euro zu entrichten ist, zahlt der Bund nur einen Beitrag von knapp 119 Euro – und gewährt sich damit selbst einen großzügigen Rabatt von mehr als 60 Prozent.
Würde der Bund fair bemessene Beiträge an die GKV zahlen, hätten die Beitragszahler im Gegenzug rund 9 Milliarden Euro weniger aufzubringen. Das würde bedeuten: Sie hätten einen gut 0,5 Prozentpunkte niedrigeren Beitragssatz zu zahlen – also knapp ein Drittel des durchschnittlichen Zusatzbeitrags.
„Luxussteuer“ auf Arzneimittel
Nach einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne von Frauenverbänden gegen die sogenannte „Tamponsteuer“ und einer anschließenden Bundestagspetition wurde zu Jahresbeginn 2020 die Mehrwertsteuer auf Monatshygieneartikel von 19 auf 7 Prozent abgesenkt. Grund: Tampons sollen kein Luxusgut sein.
Medikamente allerdings sind weiterhin der „Luxussteuer“ von 19 Prozent unterworfen und der Staat kassiert kräftig Steuern, wenn jemand ein lebensnotwendiges Arzneimittel benötigt.
Im Jahr 2023 lagen die GKV-Ausgaben für Arzneimittel bei über 50 Milliarden Euro. Würde die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel – so wie für Tampons – ebenfalls auf 7 Prozent gesenkt, könnte die GKV um mehr als 4 Milliarden Euro entlastet werden. Der Beitragssatz läge dann um mehr als 0,2 Prozentpunkte niedriger als heute.
Wer finanziert den Bau von Krankenhäusern?
Die Bundesländer sind verfassungsrechtlich verpflichtet, für Planung und Investitionsfinanzierung der Krankenhauskapazitäten in Deutschland aufzukommen. Die Trennung ist eindeutig: Die Länder haben für alle Investitionen zu zahlen, also für den Bau und die Ausstattung der Krankenhäuser mit medizinischen Geräten. Die Krankenkassen kommen hingegen für den Betrieb auf, also beispielsweise für die Löhne der Beschäftigten, für Verbrauchsmaterial oder für Energie.
Doch die Bundesländer zahlen seit vielen Jahren immer weniger: Während es 1993 noch 3,9 Milliarden Euro waren, sank der Betrag nominell bis 2021 um 15 Prozent auf 3,3 Milliarden. Berücksichtigt man den Wertverlust durch die Inflation, sank der Betrag sogar um 44 Prozent. Im selben Zeitraum haben sich die Krankenhausausgaben der Krankenkassen aber von 29 Milliarden Euro auf insgesamt 85 Milliarden Euro nahezu verdreifacht. Zieht man die Inflation ab, stiegen sie immer noch um 70 Prozent.
Resultat: Der Anteil der Bundesländer an der Krankenhausfinanzierung ist zwischen 1993 und 2021 von mehr als 10 Prozent auf unter 4 Prozent gefallen. Kein Wunder, dass viele Krankenhäuser marode sind.
Umgekehrt trugen die Beitragszahler der GKV im Jahr 1993 nicht einmal 90 Prozent der Kosten für Krankenhäuser, während es nunmehr über 96 Prozent der Kosten sind. Das heißt: Die Krankenhäuser müssen wohl oder übel auch ihre Investitionen aus den Einnahmen für die Behandlung der Patienten finanzieren (Geld, das für die Versorgung der Versicherten benötigt wird und dort zwangsläufig fehlt). Und so wird die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Aufteilung der Finanzierungspflichten nach und nach immer weiter ausgehebelt. Was fehlt, zahlt halt die GKV!
Reform der Krankenhausstruktur
Da viele Krankenhäuser in Deutschland verschuldet und ihre Strukturen überaltert sind, versucht sich die Politik seit langem an einer Reform. Kleine Kliniken sollen sich spezialisieren oder abgewickelt werden, für komplexe Eingriffe sollen große Zentren der Spitzenmedizin zuständig sein. Nachbarland Dänemark hat es mit großem Erfolg vorgemacht.
Um eine Umstrukturierung des Kliniksystems zu fördern, hat sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einen „Transformationsfonds“ einfallen lassen. Satte 50 Milliarden Euro Fördermittel soll der enthalten – die Lauterbach aber aus Steuermitteln nicht finanzieren kann. Ganz ungeniert plant er deshalb den dafür nicht zuständigen GKV-Versicherten in die Taschen zu greifen – und sie zur Hälfte, also mit 25 Milliarden Euro, an den Kosten zu beteiligen. Zwischen 2026 und 2035 ergibt das eine jährliche Mehrbelastung von 2,5 Milliarden Euro für die gesetzliche Versichertengemeinschaft. Das treibt die Beiträge um deutlich mehr als 0,1 Prozentpunkte nach oben.
Versicherungsfremde Leistungen
Dieser sperrige Begriff bezeichnet alle Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, die sozialpolitisch von der Allgemeinheit gewollt sind, aber nichts mit den Leistungen einer Sozialversicherung zu tun haben.
Der Bund zahlt für die versicherungsfremden Leistungen einen Zuschuss an die GKV. Im Jahr 2012 betrug der Bundeszuschuss 14 Milliarden Euro, aktuell sind es 14,5 Milliarden – also gerade einmal 3,6 Prozent mehr als vor zwölf Jahren. Berücksichtigt man den Wertverlust durch Inflation, ist der Bundeszuschuss seither um 20 Prozent gesunken. Die Leistungsausgaben der GKV sind im gleichen Zeitraum inflationsbereinigt um 40 Prozent angestiegen. Das passt natürlich nicht zusammen.
Die Ampelkoalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, den Betrag künftig zu erhöhen. Im Gespräch war beispielsweise, dass man den Bundeszuschuss jeweils an die Entwicklung der gesamten Ausgaben der GKV anpassen könnte. Geschehen ist diesbezüglich bislang nichts.
Steuerzahler versus Versicherte: Egal, wer zahlt?
Ein häufiges Argument derjenigen, die den Beitragszahlern in die Tasche greifen, ist, dass es keinen Unterschied mache, wer zahle. Denn die große Mehrheit der Bürger sei ja sowohl Beitrags- als auch Steuerzahler.
Doch diese Behauptung ist falsch. Am Beispiel des von Gesundheitsminister Lauterbach geplanten Krankenhausfonds zeigt sich das ganz deutlich: Nach dem Grundgesetz werden Bau und Einrichtung der Krankenhäuser – als Teil der öffentlichen Infrastruktur – aus Steuern finanziert. Jeder steuerpflichtige Deutsche zahlt folglich dafür, dass es gute Krankenhäuser gibt. Für die Behandlung Erkrankter in einem Krankenhaus zahlt hingegen die Krankenversicherung des Patienten.
Beteiligt Karl Lauterbach nun die GKV-Versicherten zur Hälfte, bürdet er einem Teil der Gesellschaft Kosten auf, die eigentlich alle Deutschen gemeinsam zu tragen hätten. Denn wer als Investor von den Zinsen eines großen Vermögens, als Aktionär von Dividenden oder als Immobilienbesitzer von Mieteinnahmen lebt, muss sich mit diesem Einkommen nicht an der Finanzierung der GKV beteiligen – und damit auch nicht an den wachsenden Kosten, die den GKV-Beitragszahlern zu Unrecht aufgebürdet werden.
Der Koalitionsvertrag – und was davon übrigbleibt
Im Koalitionsvertrag wird von der Regierung angekündigt, dass versicherungsfremde Leistungen künftig stärker aus Steuermitteln finanziert werden sollen, statt durch GKV-Beiträge. Passiert ist diesbezüglich bislang nichts.
Die Ampel agiert also gegen ihre eigenen Versprechen, wenn sie die GKV-Versicherten immer weiter in die Pflicht nimmt. Und sie nimmt explodierende Beitragssätze billigend in Kauf. Minister Lauterbach scheint darauf zu setzen, dass hohe Zusatzbeiträge den Versicherten als schlechtes Wirtschaften ihrer Krankenkasse erscheinen. In Wirklichkeit sind sie vor allem Konsequenz einer verfehlten Politik.
Zusammen sind das mehr als 34 Milliarden Euro. Das ist mehr Geld als das Aufkommen aus dem gesamten Zusatzbeitrag aller Krankenkassen zusammen.
Wir haben die Kampagne des BKK-Dachverbandes gerne unterstützt. Der Zusatzbeitragssatz der energie-BKK beträgt 1,59 Prozent und liegt somit unter dem Durchschnitt aller gesetzlichen Krankenkassen – er bleibt auch in 2024 stabil.