Was sind die interessantesten Gesundheitstrends aus Ihrer Sicht als Zukunftsforscher?
Tristan Horx: Über allem schwebt KI als die große Lösung für alle Gesundheitsfragen. Für mich eine Verblendung, wenn nicht sogar eine Erlösungsfantasie. Natürlich wird KI funktionieren, wenn es um die Frage geht, wie man große Datenmengen ordentlich auswerten und vielleicht Zusammenhänge herstellen kann, die bisher noch nicht gesehen wurden. Momentan liegt die größere Herausforderung eher im psychologischen Bereich.
Noch achtsamer leben?
Ja, unter anderem. Die Einstellung, im Weltuntergangsmodus gefangen zu sein, grassiert. Das macht auf Dauer unglücklich. Die Generationsforschung sieht ganz deutlich bei jungen Menschen einen ansteigenden Pessimismus, den man in der Häufung sehr lange nicht gesehen hat. Kränkelt eine Gesellschaft im Geist, wirft das demokratiepolitische Fragen auf. Das spüren wir gerade. Gesundheitsfragen beginnen also hier: in der individuellen Psyche.
KI kann viel leisten in den nächsten Jahren. Ich denke an die Idee, einen Chip ins Gehirn zu pflanzen, der einen gut drauf sein lässt, einen sogenannten Neurolink – oder an Pflegeroboter, mit denen wir die Pflegekrise überwinden. Aber das wird allein so nicht funktionieren, denn wir kommen um den Faktor Mensch einfach nicht herum.
Die selbstverständliche Stärkung der eigenen mentalen Gesundheit wird also noch wichtiger in diesem Jahr?
Ja, mentale Gesundheitsfragen enttabuisieren wir gesellschaftlich gerade massiv. Wer in den 1960er Jahren zugab, er geht zur Therapie, den hat man nach zwei Wochen schon in der Klinik gesehen. Heute ist eine Therapie normaler Bestandteil des Lebens. Das ist ein großer Fortschritt.
Der Trend Period Positivity, also der positive Umgang mit der Regelblutung, ist in diesem Jahr heftig angesagt, oder?
Das ist richtig – weg mit den Tabus. Weibliche Gesundheit rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Alle Studien zeigen: Frauengesundheit wurde ewig vernachlässigt und verharmlost. Damit ist jetzt Schluss! Hier verändert sich viel. Außer dem offenen Umgang mit dem Thema übrigens auch bei der Geschlechtsparität von Ärzten. Nicht mehr länger prägen Männer das Gesundheitssystem für Frauen, sondern Frauen und Männer tun dies gemeinsam, ausgerichtet auf die spezifischen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen.
Was steckt hinter dem Trend „Terrapy“?
Dahinter steckt die Idee, Menschen zu befähigen, sich aus sich selbst heraus zu stabilisieren, im Einklang mit der Umwelt, ohne sich dem Weltschmerz ausgeliefert zu fühlen. Das betrifft auch den Wert von gesunder, nachhaltiger Lebensmittelerzeugung im Einklang mit der Natur. Warum die Lebenserwartung in vielen anderen Erdteilen abnimmt, ist oftmals auf schlechte Ernährung und mangelnde Bewegung zurückzuführen. Die Leute dort sterben aufgrund von Zivilisationskrankheiten. Hier bei uns sind wir an diesen Themen dran und bekommen gerade 20 Jahre Lebenserwartung hinzu, werden dadurch allerdings auch zu Opfern unseres eigenen Erfolgs. Wir haben eine Generation, die sich sehr viel Wohlstand angeeignet hat und noch sehr lange lebt. Drei andere Generationen jedoch müssen sich die 40 % des restlichen Kuchens teilen. Das geht nicht lange gut, da sehe ich ein wachsendes, ungesundes Konfliktpotential. Die jungen Generationen haben das Thema Rente demografisch längst aufgegeben.