Schulsport –  mehr als Spaß  und Spiel
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Schulsport – mehr als Spaß und Spiel

Erinnern Sie sich noch an Ihre Sportstunden in der Schule? Reck, Barren, Schwebebalken, Weitsprung? Schulsport ist an den meisten Schulen mit Leistungsmessungen und Benotungen verbunden. Vincenzo Materia, Leistungsphysiologe und Trainingswissenschaftler sieht den heutigen Sportunterricht unter einer anderen Perspektive.

Portraitfoto
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Bereits 1984 wurde sein Kindertraining in einem Kindergarten praktiziert. Er war sich damals schon bewusst, dass sich Kinder in Bezug auf Gesundheit und Hormonhaushalt lange in einem besonderen Zustand befinden, da die Wachstumsprozesse erst zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr abgeschlossen sind. Wir sprachen mit ihm über die Wichtigkeit von Training im Alltag von Kindern und Jugendlichen.

 

Warum beschäftigen Sie sich als Physiologe überhaupt mit Schulsport?
Gerade für Kinder spielen Anerkennung und Bestätigung eine wichtige Rolle. Jeder kennt den Ruf: „Mama, guck mal was ich kann!“ Aber wie wird im Schulsport auf diese Bedürfnisse eingegangen? Häufig steht hier der Vergleich mit anderen Kindern im Mittelpunkt. In den verschiedensten Variationen finden hier Messungen statt, in denen ermittelt wird, wer stärker, schneller – also leistungsfähiger ist.

 

Leistungsmessungen sind im Sport doch eigentlich üblich?
Die Leistungsmessungen, die sich nicht zuletzt in der Notenbildung begründen, basieren allerdings in den wenigsten Fällen auf konkreten physiologischen Grundlagen der Schüler. Stattdessen basieren sie auf sportartspezifischen Regelwerken oder Leistungstabellen, die den Geburtsjahrgängen die entsprechenden Leistungen zuordnen. Aber ist es gerecht, wenn ein Schüler mit einer Körperlänge von 140 cm im Hochsprung die gleiche Höhe überspringen muss wie einer, der 40 cm länger ist? In einem konkurrenzbasierten Bildungssystem finden individuelle Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen kaum Berücksichtigung. Das wirkt sich verständlicherweise auch auf die Psyche der Heranwachsenden aus.

 

Die Leistungsmessung basiert selten auf der konkreten Leistungsfähigkeit des jeweiligen Schülers.

 

Wie kann man diese Unterschiede besser berücksichtigen?
Jede Sportart stellt unterschiedliche Ansprüche an den menschlichen Körper. Im Zentrum der Leistungen stehen meistens die dynamischen Muskeln, denen in der Vorbereitung folglich die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wird. Allerdings kann die vollständige Leistung der dynamischen Muskeln nicht ohne eine trainierte Haltemuskulatur und eine stabilisierte Wirbelsäule erbracht werden, was häufig aus dem Fokus gerät.

 

Durch Wachstumsschübe bedingt ist bei Kindern die Haltemuskulatur des Rumpfes nicht genügend ausgebildet ...

 

Warum ist die Haltemuskulatur wichtig?
Es ist wichtig, den ganzen Körper vor der sportlichen Betätigung auf die entsprechenden Belastungen vorzubereiten, um Verletzungs- und Haltungsschäden vorzubeugen. Da bei Kindern durch Wachstumsschübe bedingt die Haltemuskulatur des Rumpfes nicht genügend ausgebildet ist, sollte ein gezielter Aufbau dieser Muskelpartien elementarer Bestandteil im Schulsport der unteren Jahrgangsstufen sein. Hier steht die Stabilisation zwischen Rippenbogen und Beckenrand im Vordergrund. Da unsere heutigen Lebensumstände mit einem Anstieg der Körpergröße einhergehen, wächst diese Relevanz noch.

Junger Erwachsener führt Halteübung aus
Junger Erwachsener führt Halteübung aus

Neben der Körpermitte verfügen auch die Schultergelenke über eine Instabilität, der ebenfalls aktiv entgegengewirkt werden sollte. Auch wenn es sich beim Schultergelenk genau wie beim Hüftgelenk um ein Kugelgelenk handelt, bestehen zwischen beiden große anatomische und physiologische Unterschiede. Die Stabilität in der Hüfte ist durch Bänder gewährleistet, in der Schulter gibt es hingegen nur eine Muskelführung, aus der zwar eine hohe Beweglichkeit, aber auch eine höhere Instabilität resultiert.

 

Was sind die Folgen, wenn dies nicht ausreichend berücksichtigt wird?
Anomalien der Wirbelsäule treten häufig im pubertären Alter auf, die jedoch nicht immer mit einer pathologischen Relevanz bzw. Schmerz einhergehen müssen. Die Diagnosekompetenz der Sportpädagogen sollte in dieser Hinsicht ausgebaut werden, da Abweichungen, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt werden, zu irreparablen Skelettverschiebungen führen können. Diese Anomalien treten verstärkt dort auf, wo ein hohes Maß an Beweglichkeit vorzufinden ist: im lumbalen Bereich (Lendenwirbel) und im kranialen Bereich (Halswirbel).

 

Was schlagen Sie daher für den Sport in der Schule vor?
Schulsport sollte die Haltemuskulatur im Zusammenhang mit der Wachstumsinstabilität betrachten und gleichzeitig attraktive Konzepte entwickeln, die sich von denen der sportlichen Bewegungsmuster unterscheiden. Eine Herausforderung besteht sicherlich darin, Schüler für diese zugegebenermaßen unattraktiven Übungen zu begeistern und generell Strategien zu entwickeln, das Thema nachhaltig zu verankern – also wie das Zähneputzen in den Alltag zu integrieren. Der gesamte Trainingsumfang kann sich bei entsprechender Intensität auf lediglich 10 Minuten beschränken.

 

Was können Eltern machen?
Eltern müssen differenzieren, zwischen dynamischen Muskeln, die im Sportunterricht vorwiegend trainiert werden und statischen Muskeln für die Haltung. Statische Übungen sind nicht so kompliziert. Lassen Sie Ihre Kinder „Brücken“ üben: anfangs jeweils 5 bis 10 Sekunden halten pro Seite, alle drei Tage. Das funktioniert zu Hause und unterwegs. Eltern können mitmachen, gemeinsam macht es mehr Spaß. Wichtig ist, dranzubleiben!

 

... daher sollte ein gezielter Aufbau dieser Muskelpartien elementarer Bestandteil im Schulsport sein.

 

Bildtitel (PDF mit Trainingsplan)
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